Und jetzt?

Obwohl es bereits erste Anzeichen einer sich anbahnenden „Konsumgüterpreisinflationsperiode“ gibt, wurde die „Inflations-Story“ bei den institutionellen Investoren bisher nicht als „kriegsentscheidend“ in die Anlageüberlegungen eingebaut. Es fehlt bei den meisten Akteuren der Anlageszene einfach an dem Vorstellungsvermögen, es könne in Zukunft wieder Preissteigerungsraten von 5 % oder 10 % geben. Außerdem können sich die großen Vermögensverwalter auf die Aussagen von FED-Chef Jerome Powell und anderen Notenbankern berufen, die ein echtes „Inflationsproblem“ schlichtweg ignorieren. Zwar wird eingeräumt, dass es durch die Auflösung des Nachfragestaus nach Überwindung der Corona-Pandemie zu einem substanziellen Preisauftrieb kommen wird, aber dieser Preisauftrieb soll, so wird vermutet, nur ein temporares Phänomen bleiben. Außerdem verweisen Notenbanker gerne darauf, dass in den letzten Jahrzehnten dank einer klugen Geldpolitik alle „Inflationsgefahren“ jederzeit beherrschbar waren. Falsch!

Es ist keineswegs allein das Verdienst von Notenbanken, dass es in den letzten Jahrzehnten keinen außergewöhnlichen Preisauftrieb oder gar eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale gab. Richtig ist vielmehr, dass die Öffnung Chinas und anderer Schwellenländer dazu geführt hat, dass die Welt mit billigen Produkten überschwemmt wurde. Es ist in erster Linie der Globalisierung zu verdanken, dass seit den 1980er Jahren Löhne und Preise in Schach gehalten wurden. Ganz entscheidend unterstützt wurde dieser Trend durch die günstige demographische Entwicklung. Spätestens zu Beginn der 1980er Jahre sorgten die „Babyboomer“ für reichlich Nachschub am Arbeitsmarkt. Da es durch die Babyboomer jahrzehntelang nicht an Arbeitskräften mangelte und viele Unternehmen ihre Produktion ins „billigere“ Ausland verlagern konnten (Werkbank China), hatten die Gewerkschaften nicht die Möglichkeit, wie in den 1970er Jahren, mit aggressiven Lohnforderungen eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Wir denken, dass die beiden FaktorenGlobalisierung“ und „Demographie“ in Zukunft die Bekämpfung von „Inflation“ nicht erleichtern, sondern ganz im Gegenteil erschweren werden. Warum? Es ist unverkennbar so, dass sich der „Globalisierungsboom“ nicht zuletzt wegen zunehmender Handelsstreitigkeiten verlangsamt hat. Um die Produktqualität und schnelle Lieferketten sicherzustellen, haben viele Unternehmen ihre Produktion wieder zurückverlagert. Geholfen hat dabei sicherlich auch der technische Fortschritt (Robotertechnik). Außerdem: China ist längst nicht mehr nur die verlängerte Werkbank für die entwickelten Industrieländer, die für billige Konsumgüter sorgt. China hat sich in den letzten Jahren zu einem hochentwickelten Industrieland gemausert, das am Weltmarkt selbst für eine riesige Nachfrage nach Konsumgüterprodukten sorgt. Während der pandemiebedingten Wirtschaftskrise in Europa und den USA hat die enorme Importnachfrage Chinas nach Autos, Maschinen, Luxusartikeln etc. einen noch stärkeren Einbruch des Wirtschaftswachstums bei den alten Industrieländern verhindert. Dass viele große Unternehmen ihre Gewinne während der Krise sogar steigern konnten, hängt mit der „Kaufwut“ chinesischer Konsumenten zusammen. Wir glauben deshalb, dass der FaktorGlobalisierung“ schon jetzt wegen der Wachstumsstärke Chinas nicht mehr „preisdämpfend“, sondern „preistreibend“ wirkt. China kauft nicht nur die Rohstoffmärkte leer, sondern ist inzwischen auch wichtigster Abnehmer von Konsumgütern. Nicht nur beim ThemaGlobalisierung“ hat sich „der Wind gedreht“.

Auch die „demographische Entwicklung“ befindet sich an einem „Wendepunkt“: Die „Babyboomer“ verabschieden sich in den Ruhestand und stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Viele Lehrstellen werden nicht mehr besetzt und die Industrie sucht händeringend nach gut ausgebildeten Fachkräften. Die Corona-Pandemie hat Jedem vor Augen geführt, dass es an Ärzten und Pflegekräften fehlt, und dass sich dieser Mangel wegen schlechter Bezahlung bei gleichzeitiger Arbeitsüberlastung weiter verschärfen wird. Der zunehmende Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften lässt uns vermuten, dass die Zeiten „vornehmer Zurückhaltung“ bei Lohnforderungen durch Arbeitnehmer längst vorbei sind. Das Verlangen von Arbeitnehmern nach deutlich höheren Einkommen ist auch keineswegs unverschämt. Wegen der gestiegenen Immobilienpreise und der gleichzeitig gestiegenen Mieten sind viele Familien kaum mehr in der Lage, mit dem verfügbaren Einkommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es ist inzwischen nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall, dass in einer Familie beide Elternteile berufstätig sein müssen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Der zunehmende Mangel an Arbeitskräften bei viel zu niedrigen Einkommen ist der beste Nährboden für substanzielle Lohnsteigerungen. Der Wendepunkt bei der „Globalisierung“ von „preisdämpfend“ zu „preistreibend“ und der „demographische Wendepunkt“ von weltweit hohem Arbeitsangebot hin zu „Arbeitskräftemangel“ könnte über kurz oder lang sogar zum Phänomen einer „Lohn-Preis-Spirale“ führen. Die Frage stellt sich, warum die beschriebenen Strukturbrüche unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Politikern, Ökonomen, Analysten, Notenbankern und Anlegern stattfinden. Bei Anlegern und Spekulanten ist die Sache klar, sie denken meist nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze resp. bis zum nächsten Handelstag. Auch Analysten und Ökonomen neigen dazu, Trends aus der Vergangenheit in die Zukunft zu extrapolieren („the trend is your friend“). Bei der Politik war es schon immer so, dass sie erst dann reagiert, wenn es bereits zu spät ist. Das viel zu späte Reagieren der Politik konnte man zuletzt wieder bei den Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung sehen. Bei den Notenbankern kann man nicht sicher sein, ob sie die Zeichen der Zeit längst erkannt haben. Es ist durchaus möglich, dass Notenbanker vermeiden möchten, durch verbale Statements bestehende „Inflationsgefahren“ zusätzlich anzuheizen. Das Problem der Notenbanker ist, dass sie Gefangene ihrer eigenen Politik geworden sind. Sie können nicht mehr, wie einst Paul Volcker, einem massiven Preisauftrieb mit einer restriktiven GeldpolitikParoli bieten“. Ein hartes „Durchgreifen“ mit einer restriktiven Geldpolitik würde in der heutigen Situation auf direktem Weg in die Katastrophe führen. Neben den Strukturbrüchen bei der „Globalisierung“ und der „Demographie“ gibt es also einen dritten Punkt, warum man die Vergangenheit in Sachen „Inflationsbekämpfung“ nicht in die Zukunft fortschreiben kann. Es ist doch so: Früher war das Primärziel der Notenbanken mit einer angemessenen Geldpolitik für „Preisstabilität“ zu sorgen. Schon bei sich am Horizont abzeichnenden „Inflationsgefahren“ verfolgten die Notenbanken früher eine restriktivere Geldpolitik. Inzwischen haben die Notenbanken ihre Rolle längst neu definiert. Die „Kernaufgabe“ der Notenbanken besteht inzwischen darin, gravierende Finanz- und Wirtschaftskrisen zu verhindern und ansonsten für „Vollbeschäftigung“ zu sorgen. In den letzten Jahren beklagten sich die Notenbanker zunehmend darüber, dass sie eine verfehlte Fiskalpolitik durch eine expansive Geldpolitik ausgleichen mussten, um konjunkturelle Wachstumseinbrüche zu verhindern. Notgedrungen hat die Politik inzwischen reagiert, und ihre „Austeritätspolitik“ aufgegeben. Milliardenschwere Konjunkturprogramme wurden inzwischen aufgelegt, und solche Fiskalmaßnahmen wirken natürlich preistreibend. Da die milliardenschweren Konjunkturprogramme meistens schuldenfinanziert sind, werden die weltweiten Trends zu einer höheren Staatsverschuldung weiter beschleunigt. Mit dem eskalierenden Schuldenproblem werden die Handlungsmöglichkeiten von Notenbanken in Sachen „Inflationsbekämpfung“ weiter eingeschränkt. Aggressive Erhöhungen der Leitzinsen zur „Inflationsbekämpfung“ sind gar nicht mehr möglich, weil sowohl Staaten als auch überschuldete Unternehmen in arge Bedrängnis gerieten. Und: Da sich zu den aktuell niedrigen Zinsen nicht mehr genug Investoren finden, die bereit sind, die defizitären Staatshaushalte zu finanzieren, sind die Notenbanken gezwungen, die staatlichen „Schrottpapiere“ mit frisch gedrucktem Geld selbst zu kaufen („Quantitative Easing“). Die eigentlich verbotene monetäre Staatsfinanzierung und die damit verbundene Geldmengenausweitung ist natürlich ebenfalls preistreibend. Sie erinnern sich: Inflation ist immer und überall ein monetäres Problem!